in 360 grad, personal, technik

Das Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg ist gerade in aller Munde. Gewalt, Drogen und überhaupt ganz, ganz schlimme Zustände … eigentlich lasse ich mich als alter Berliner von solchen Geschichten nicht groß beeinflussen. Als ich vor ein paar Wochen allerdings auf dem Weg zu einem besonderen Shooting am Kotti war, sah das ganze etwas anders aus …

… im Gepäck hatte nämlich ich das neueste Modell der Phase One XF Kamera mit dem IQ3-Digital-Back und einer Auswahl aus dem aktuellen Line-Up der Schneider-Kreuznach-Objektive. Danke an dieser Stelle an Yves Richter vom deutschen Phase-One-Vertrieb, der uns dieses Set im Wert von rund 60.000€, zur Verfügung gestellt hat.

Auf dem Weg zum Kotti

Mit diesen Werten im Rucksack fühlt sich der Gang über den Platz am Kottbusser Tor in Kreuzberg dann doch nicht mehr ganz alltäglich an. Durch einen guten Freund hatte ich Zugang zu einem der Balkons im achten Stock, direkt an der Ecke zur Reichenberger Str. Ich kann mich noch genau an die zwei türkischen Damen erinnern, die mit mir im Fahrstuhls standen und wahrscheinlich keine Ahnung hatten, was da in meinem Rucksack liegt.

Oben angekommen, ging das Schwitzen erst richtig los. Die Phase One XF musste auf meinem automatisierten Panoramakopf VR Drive II von Seitz befestigt und dann irgendwie über der Balkonbrüstung angebracht werden. Mit 60.000€ in der Hand, knapp 25m über dem Kotti, überlegst Du Dir jeden Handgriff drei mal!

Das Shooting

Wie aber das Vorschaufoto dieses Beitrags erahnen lässt, ging alles gut … Fotograf und Kamera haben überlebt!

Super cooles Feature der XF: der eingebaute Seismograph, über den die Auslösung gesteuert werden kann. Bei aktiviertem Seismograph und einer eingestellten Wartezeit von 5sec löst die Kamera erst dann aus, wenn nach Betätigen des Auslösers keine Vibration mehr an der Kamera festgestellt wird. Am Ender der Wartezeit von 5sec wird auf jeden Fall ausgelöst, egal ob mit oder ohne Vibration.

Seismograph – und wie es noch besser ginge

Genau hier wünsche ich mir von Phase One in einem der nächsten Software-Updates, das automatische Auslösen am Ende der Wartezeit des Seismographen deaktivieren zu können. Dort oben auf dem Balkon am Kottbusser Tor wackelt die Kamera leider nicht nur durch die Einwirkung des Fotografen, sonder zum Beispiel auch bei vorbeifahrenden LKW & U-Bahnen. Und wenn es am Ende der Wartezeit noch nicht vibrationsfrei ist, dann sollte die Kamera am besten gar nicht erst auslösen. Und noch besser wäre es, wenn die XF mir auch anzeigt, wenn während der Aufnahme eine spürbare Vibration aufgetreten ist. Denn bei fünf bis zehn Sekunden Belichtung von dem Balkon aus, kann es schon mal vorkommen, dass zwar am Anfang alles vibrationsfrei steht, dann aber während der Belichtung eine Störung auftritt. Und wer jetzt denkt, naja, der soll mal nicht so kleinlich sein, das merkt doch eh keiner … bei 100 Megapixel Auflösung sieht man in den Details zum Beispiel in den Balkons, die knapp 200m entfernt sind, jedes noch so kleine Wackeln der Kamera als Unschärfe. Unglaublich beeindruckend! Aber auch unglaublich herausfordernd! =)

Technische Probleme

Einen weiteren Schweißausbruch hatte ich dann noch auf Grund der XF-Kamera … nach ungefähr 20 Aufnahmen ging einfach nix mehr. Die XF war zwar noch an und auch das IQ3-Back leuchtete fröhlich vor sich hin. Aber egal, was ich gemacht habe, keine Auslösung möglich. Ärgerlich, besonders wenn gerade die U-Bahn durch die Szenerie fährt! Dank des Zertifizierung-Workshops zum POCP kannte ich aber einen super Trick: »Have you tried turning it off and on again?!« Und in der Tat, einmal komplett runter- und wieder hochfahren hat funktioniert. Die restlichen Fotos konnten geschossen werden.
An dieser Stelle ein großes Danke an meinen Freund Nick, der mir nicht nur den Balkon sondern auch seine Küche zur anschließenden Datensicherung zur Verfügung gestellt hat. Dank der guten Planung musste ich insgesamt nur 35 Fotos aufnehmen. Das sind dann aber bei der XF mit dem IQ3-Back direkt mal knapp 4GB an Daten! Ich war ziemlich erstaunt, wie flüssig Capture One die Daten aufbereiten kann und mir Previews mit Zoom bis auf 100% anzeigt. Da kann sich Lightroom aber wirklich mal eine Scheibe von abschneiden … selbst auf meine recht alten MacBookPro, das ich on Location nutze, waren die Daten innerhalb von ein paar Minuten übertragen, in den Katalog importiert und auf 100% inspiziert und für gut befunden.

Beeindruckende Auflösung und …

Am nächsten Tag konnte ich also die Bildauswahl und die Rohdaten-Entwicklung angehen. Für den Kotti-Hintergrund brauche ich 12 Fotos. Weitere 14 Fotos kommen dann noch mal dazu, um die Lighttrails für den Verkehr und die ein- und ausfahrende die U-Bahn einzubauen. Großartig! Mit herkömmlichen Kamerasystemen wäre es einfach nicht möglich solche langen Lighttrails in dieser unglaublich hohen Auflösung zu fotografieren! Aus den 26 Rohdateien werden dann in der Entwicklung 26 tiff-Dateien mit jeweils 11608 x 8708 Pixeln und mehr als 600MB … insgesamt 16GB an Fotodaten!
Das macht Spaß in PTGui … jede Aktion zieht minutenlange Wartezeiten nach sich … kleiner Trick: mit JPGs in 50% der Auflösung nehme ich hier alle Änderungen, Einstellungen und Optimierungen vor. Das fertige Pano speicher ich als Template und wende das dann auf ein neues Projekt mit den hochaufgelösten tiff-Daten an. Das spart unglaublich viel Zeit. Und so dauert das Erstellen des finalen Panoramas als PSB-Datei auch »nur« knapp 2,5 Stunden. Die fertige Datei ist mit 10,5 GB dann auch eine echte Herausforderung für Photoshop. Nach zwei Tagen Bearbeitung ist es dann aber vollbracht und (nach weiteren zwei Tagen und diversen Anpassungen) steht auch die virtuelle Tour (endlich!) …

Unbedingt den + Button benutzen, um ins Foto rein zu zoomen!

Hier geht es zur Vollbild-Variante des Kottbusser Tors!

… rechtliche Probleme

Ich bin immer noch beeindruckt, welche Details im finalen Bild zu entdecken sind. Die einzelnen »Pinselstriche« der Graffitis auf den Dächern, die Aufschriften der BSR-Mülleimer, die Schrift auf den Plakaten IM U-Bahnhof … und auch diverse Einblicke in fremde Wohnungen. Spooky! Dass das mit einem Tele-Objektiv und guter Spiegelreflex-Kamera möglich ist war mir klar. Für ein oder zwei Wohnungen auf einmal. Hier habe ich aber mit einem extremen Weitwinkel fotografiert und kann auf einem einzelnen Foto Details in mehr als 30 Wohnungen erkennen!

(Und zwar so genau, dass ich die in der veröffentlichten Version nach deutschem Recht leider unkenntlich machen musste.)

Mein Fazit zur Phase One XF 100

Eine beeindruckende Kamera! Die Auflösung  und Detailschärfe ist auch nach langer Arbeit mit den Dateien immer noch überraschend. Und für die komplexe Technik, die dahinter steckt, ist das System erstaunlich einfach zu bedienen. Aber … ein Aussetzer, so wie der, den ich oben beschrieben habe, kann Dich einen kompletten Job kosten, wenn Du an einem zeitkritischen Kundenprojekt arbeitest. Mal angenommen, auf dem Balkon hätte neben mir kein Freund sondern der Chef einer Werbeagentur gestanden, der die Aufnahmen genau zur blauen Stunde haben möchte. Dann hätte die Kamera mir da einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Ein Fehler, der dann an mir als Fotograf hängen bleibt. Hier muss Phase One wirklich an der Zuverlässigkeit des Systems arbeiten … so lange würde ich keinen Job ohne Nikon-Backup-Kamera angehen.

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